Systemik

Systemik

Kontext statt Isolation

Der Begriff taucht immer wieder auf. Aber was bedeutet er eigentlich? Veranschaulichen lässt sich der Begriff am Henne-Ei-Problem. Wer eine Antwort auf die Frage sucht, denkt linear: was war zuerst, was kam danach? Was etwa bei Maschinen und Produktionsprozessen funktioniert, scheitert schnell, wenn es um lebendige Systeme geht. Wer kennt Diskussion in einer Beziehung nicht, dass der eine agiert, der andere nur reagiert habe. Eine Lösung gibt es hier meist ebenso wenig wie bei dem Henne-Ei-Beispiel. Systemisches Coaching unterscheidet daher zwischen nichtlebendigen Systemen und lebendigen Systemen. Systeme bestehen dabei immer aus Elementen, die miteinander in Beziehung stehen. Deshalb reicht es nicht, die einzelnen Elemente zu beschreiben. Um ein System wirklich zu erfassen, muss man außerdem die Beziehungen dieser Elemente untereinander kennen.

Für das systemische Coaching bedeutet das: Handlungen, Gefühle, Emotionen, Eigenschaft, Phänomene werden nie isoliert betrachtet, sondern immer im Kontext. Wir suchen nach Verhaltensmustern und den zugehörigen Kontexten. Dann wird meist schnell deutlich, dass ein Verhalten im einen Kontext sinnvoll ist, in einem anderen aber nicht. So kann es für ein Kind sinnvoll sein, es beiden Elternteilen recht zu machen und dadurch einen Beitrag zu leisten, um die brüchige Ehe zu retten. Wer aber versucht, es im Beruf allen recht zu machen, wird sich damit überfordern und sich zum Beispiel in den Burn-Out bringen. Ein systemischer Coach wird seinem Klienten also nie Ratschläge geben, was richtig oder falsch, besser oder schlechter ist. Vielmehr wird es dem Coach darum gehen, welche Wahrheiten in der Wirklichkeit des Klienten gelten. – und diese Wahrheiten so zu verändern, dass die Wirklichkeit für den Klienten akzeptabler wird. Vor diesem Hintergrund entstehen spezifische Eigenschaften erst in der Wechselwirkung von Menschen bzw. Dingen miteinander: Ein Mensch mag je nach Perspektive auf den einen Beobachter sehr gesprächig oder sympathisch wirken, für den anderen dagegen gar nicht. Die Eigenschaft zu beschreiben, ist daher weniger aussagekräftig als zu verstehen, welche Muster dazu führen, dass der eine Beobachter einen Menschen so sieht, ein anderer aber ganz anders. Welche Muster die Beziehung zwischen zwei Menschen oder Dingen stärken und was der Klient dafür tun kann, um zu diesen Mustern zu gelangen – das ist Teil systemischen Coachings.

Systemisches Coaching arbeitet daher immer auf eine Lösung hin. Nicht das Problem steht im Mittelpunkt, sondern der Weg, um es zu lösen. Ganz praktisch – mit Steve de Shazer – gesagt: Kopfschmerz ist kein Zeichen von Aspirinmangel. Es ist zwar sinnvoll, über die Ursachen von Kopfschmerz nachzudenken, um ihn künftig zu vermeiden, Abhilfe gegen den aktuellen Kopfschmerz bietet das aber nicht. Und wenn Aspirin gegen Kopfschmerz hilft, heißt das das noch lange nicht, dass das Nichteinnehmen von Aspirin Kopfschmerzen verursacht. Lösungen sind eben in lebenden Systemen selten so einfach.